2007-04-03

ORDNUNG, im alltag

die ordnung der küchentücher und putzlappen : das gute gefühl von sicherheit und unendlichkeit, das dabei entsteht, wenn man einen völlig zerbrauchten lappen wegfirwt (das ist neu: in werfen ‚w’ und ‚f’ verwechseln und erst beim ‚w’ stutzen – oben sträubte ich mich irgendwie noch gegen das wegwerfen, das beendende, das damit angesprochen wird; umkehrung der lettern als umkehrung des wortsinns? item:) und wenn die reihe, die beige der lappen erneuert wird durch einen neugekauften (der sich unter den anderen, alteingesessenen, so sonderlich rechtwinklig gefaltet abhebt) – so dass eine bestimmte gesamtzahl erhalten bleibt – entsteht eine reihe, die nie abzubrechen scheint. die sauber eingeräumten schränke, die von unten bis oben ordentlich gefüllten wäschedepots als veranschaulichung eines lebenszirkels ohne vorausbestimmbares ende, die aufhebung des todes in der potenz der gattung. (aufhebung nun nicht gerade, eher eine abschwächung.)

die optische ordnung ergänzt, drückt die gedachte regeneration aus; das meine ich jetzt wenigstens : eine auslaufende reihe kann ja auch in sauberen häufchen stehen, aber das wird die ordnungsfreudigkeit wohl unterstützen: dass mit der erfassbaren ordnung ein stück unendlichkeit mitgedacht wird. (ein stück unendlichkeit: wie widersinnig: trotzdem oft: wie wahr: gerade ‚ewig’ möchte ich ja nicht unbedingt leben, aber schon mal eine rechte weile länger, als zu erwarten ist.)

die abnützung der gebrauchsgegenstände, die an ihre endlichkeit denken lässt, verschafft mir eher ein noch besseres gefühl. die abgeschliffenen steinstufen alter treppen, die tassen, töpfe mit einem ecken ab, kleider, die mir am körper dünner und dünner werden, das weckt ein gefühl der einigkeit, das vielleicht tröstlich ist, resignierter auch, ohne ausblick auf ein jenseitiges leben, mit keiner option auf ein stückchen unendlichkeit : der topf wird halt fortgeworfen, wenn er zerbricht, der mensch wird eingegraben, wenn er stirbt.

die wäscheschränke machten mich früher oft hässig : wie viel zeit da in ordnung um der ordnung willen eingesetzt wurde, wieviele wünsche begraben werden mussten, weil die wäsche gebügelt sein musste und keine zeit für wünsche übrigblieb; dass dieser verzicht nicht zuletzt dem gefühl der sicherheit zugute kommen sollte, ist eine sehr späte erfahrung von mir. die innere und äussere sicherheit aller staaten hängt von der disziplin ab. und disziplin wird nicht erreicht, wenn jeder so vor sich hin wünscht. vielleicht ist das gefühl der sicherheit bei kindern noch vorhanden ohne wäsche- und andere ordnungen – die zeit, da die wünsche noch in erfüllung gehen – und dieses gefühl geht verloren in verschiedenen wäschebergen und geordneten schränken.

so ist die freude an einem geordneten wäscheschrank wohl resignierter als ich vorerst dachte : wiedererwachen aus wunschträumen in ordnungen, die sich ewig repetieren, ist doch eher ein einschlafen : vom selbertun zum getanwerden. (vielleicht kann man sich die hölle so vorstellen: eine wäscheabteilung bei friedrich dem grossen.)

die abnützung bei gegenständen und lebewesen, vor allem bei gegenständen, ist mir nie unnatürlich vorgekommen, hat mich nie hässig gemacht. dass ein spielzeug (was immer das auch sei, ich meine nicht nur kinderspielzeug – ich spiele mit büchern, sätzen, lebensmitteln) nicht an jedem tag gleich aussieht, dass es sein gesicht und seinen charakter ändert, ist doch nicht an sich störend, im gegenteil. was mich zum schreien bringt ist der tod der existenzien (gegenstände). ich will die abnützung nicht in kausalen zusammenhang mit dem tod bringen; die schmerzen, die angesichts des todes erlebt werden, haben nichts mit rationalem verstehen zu tun. dass abnützung zur auflösung einer existenz führt, ist eine rationale erkenntnis (und wie wenig oft werden tode aus altersschwäche, oder was man dafür halten muss, gestorben). die veränderung, abnützung ist doch dem leben lieb, den wünschen gemässer als eine starre, unveränderliche ordnung.

dass mit zunehmendem alter ‚die zeit im nu vergeht’ : könnte das nicht mit eben diesen ordnungen zusammenhängen, die gewöhnungen erzeugen, klischees zu tatsachen machen. die welt ist erklärt, die wünsche haben sich dünn gemacht. man stutzt nicht mehr ‚wegen jedem dreck’, man setzt sich nicht mehr mit vielen dingen auseinander: das denken und fühlen hat seine formen gefunden – die erlebnisweisen sind eingeschränkt durch ordnungen – die zeit, in der nichts ‚spannendes’ geschieht, ist häufig und verfliegt in windeseile. die wäscheordnungen haben die wünsche eingewickelt und vertrieben. die welt ist sauber geputzt. die sprache hat nichts mehr neues zu sagen. eine mottenkugel im wäscheschrank. adieu!

[se:1982]

> disziplin; organisation, neu; new world order; enzyklopädie, archiv, wünsche

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