2007-04-09

ENZYCK II

Zu schreiben "à la Montaigne", "Montaigne so gut es geht", so Jean Paul auch in seinem nachgelassenen Vita-Buch, das bedeutet eben: "...nach Montaigne; Versuche zu reden über alles und sich nur daneben". "Nur daneben" wiederum bedeutet: in der dem Essay entsprechenden Form der Digression, der 'musivischen Schreibweise'. Montaigne selbst bekräftige nicht nur – so in der Übersetzung von Johann Daniel Tietz (1753/54), die Jean Paul wohl bekannt war – dass dieses Buch im Grunde nur von ihm handeln werde ("Also bin ich selbst die Materie meines Buches, geneigter Leser"), sondern verteidigte auch, über den Umweg Plutarch, seine eigene digressive Schreibweise als eine hervorragende Verbindung von Poesie und Wissen:

"Ich gerathe auf Abwege: aber mehr muthwillig, als aus Unachtsamkeit. Meine Grillen folgen einander, aber zuweilen von weitem; und sehen einander an, aber von der Seite. (...) Ich liebe den poetischen Gang, das Hüpfen und Springen. Die Poesie ist, wie Plato sagt, eine leichte, flüchtige, entzyckte Kunst. Es giebt in dem Plutarch Werke, wo er seine Hauptsache vergisst; wo das, was er sich ab zu handeln vorgesetzet hatte, nur zufälliger Weise hinein kömmt, und ganz mit fremder Materie überhäuft ist. (...) Wie schön ist diese Abwechslung und alsdenn am meisten, wenn sie am nachlässigsten und ungekünstelsten zu seyn scheint! (...) Meine Schreibart, und mein Gemüth, schwärmen beyde herum. (...) Bücher sehen, so viel als sie ansehen; und sie durchlaufen, so viel als sie fassen: so würde ich unrecht haben, wenn ich mich so unwissend machte, als ich thue. Kann ich die Aufmerksamkeit des Lesers durch die Wichtigkeit der Sache nicht erhalten: gut, es ist doch allezeit etwas, wenn ich sie durch meine Verwirrung erhalte."

andreas b.kilcher: mathesis und poiesis

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